Editorial: Kunststoffmarkt – Schlimmer geht immer
Dimitrios Koranis spricht im Editorial des Magazins „Trends der Kunststoffverarbeitung (No 27, April 22) über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf den Kunststoffmarkt
So manch einer der Beteiligten in der Kunststoffverarbeitenden Industrie denkt sich, ob er seit etwas mehr als zwei Jahren in einer „Matrix“ lebt und jederzeit Morpheus oder Neo trifft bzw. in einer endlos Schleife von „täglich grüßt das Murmeltier“ gefangen ist.
Obwohl es bereits in 2019 erste Bremsspuren durch den Rückgang der Nachfrage in der Automobilindustrie gab, so war der Einbruch durch die Lockdowns im März 2020 und den daraus folgenden Turbulenzen enorm. Wir erinnern uns, dass mit Wiederaufleben der chinesischen Wirtschaft im Sommer 2020 die Komplexität der Produktions- und Lieferketten einerseits, sowie die strukturellen Probleme der europäischen Kunststoffindustrie, vor allem im Bereich der technischen Polymere, gnadenlos aufflog.
Die Sensitivität der fein aufeinander abgestimmten Wertschöpfungsketten führte zu einem Zustand, dass kaum noch verlässliche Angaben über Liefertermine, geschweige den zu planbaren Preisen gemacht wurden. Durch den temporären Preisrückgang in Q1-2020, bedingt durch CoVID entstand ein unvermeidbarer Peitscheneffekt, der in 2021, wie ein Tsunami alles mit sich riss, was sich ihm in den Weg stellte.
Elementare Grundstoffe der Polymere wie C2 und C3 sind zwischen 2019 und heute um >50% gestiegen. Wesentliche Grundstoffe für die technischen Polymere wie Benzol oder Styrol verhielten sich extremer mit tw. 100% Erhöhung. Aber auch Zwischenprodukte wie Acrylnitril, Caprolactam, Phenol etc. waren aus dem Ruder gelaufen.
Die Aufschläge bei den Polymeren zogen im Gleichschritt nach und bedingt durch die Versorgungsengpässe, welche sich mit dem Preisniveau 1:1 im besten Tandem bewegen, entstand ein toxisches Gemisch von Unsicherheit, Abhängigkeit und Willkür. Der Verarbeiter war voll in der Sandwich Position zwischen den zwei großen Playern Anbieter und Kunden.
Kaum normalisierten sich halbwegs die Verfügbarkeiten der Anlagen, kam in Q4-2021 die nächste Welle: Energiepreise (Strom und Gas). Dabei sind nicht nur die direkten Kosten für den Eigenverbrauch hervorzuheben, mit teilweise einseitiger Kündigung der Verträge seitens der Versorger, da sie ihre zugesagten Festpreise nicht mehr halten konnten, sondern auch die willkürlich auf den Granulaten aufgeschlagenen Energiekosten.
Mit hoffnungsvollem und größtenteils auch begründetem Ausblick auf Entspannung sowohl der Preis-, als auch der Versorgungslage ab Q2-2022, erklärte am 24.02.2022 Russland der Ukraine den Krieg. Die Karten werden wieder neu gemischt. Die Preisrallye nimmt wieder Fahrt auf. Die Versorgungssicherheit steht auf wackligen Beinen.
Dabei ist weniger die Ukraine, sondern vielmehr Russland das Zünglein an der Waage. Unabhängig davon, ob die verarbeitende Industrie direkt einkauft. Beim Caprolactam bspw. ist Russland der 2.-größte Anbieter in Europa, welches dadurch ebenso die Produktions- und Lieferkette der westeuropäischen Anbieter beeinflusst. Beim Acrylnitril ist Russland der 3.-größte Anbieter in Europa (Marktanteil 20%), einem Zwischenprodukt, das früher schon knapp war und somit für die Granulate ABS/SAN/ASA sowie Blends wie PC/ABS eine extreme Erhöhung der Lieferzeiten und der Preise nach sich zieht.
Entspannungen durch Importe aus Asien sind aktuell durch Hafenschließungen, durch Containerengpässe und dem de facto Zusammenbruch der Seidenstrasse nicht zu erwarten.
Aber auch der innereuropäische Transport per LKW führt durch die Dieselpreiserhöhungen (+1 €/Lit) seit Jahresbeginn zu Granulatpreiserhöhungen von 50 €/To.
Was bleibt? Eigene rote Linien definieren und eng mit dem Kunden in die neue Welt gehen.
Das Verbandsmagazin „Trends der Kunststoffverarbeitung“ finden Sie unter https://www.tecpart.de/de/